Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
Ein Hirnlüftchen von hajo. Dreyfuß

Das Jahr fängt gut an …

Der Papst, der Weltfrieden und ein Eigentor

"Am Anfang war das Wort", steht schon in der Bibel zu lesen. Und so gehört zu den Taditionen des Neujahrsfestes nicht nur kleine Augen, Hering und Aspirin, sondern auch das spontane Verlesen vorab formulierter Grüße an die Untertanen, dargebracht von den Obrigkeiten ihrer Reiche. Neben den absehbaren Allgemeinplätzen, der Litanei bekannter Standpunkte, einigen billigen Lippenbekenntnissen und den üblichen Floskeln sind in ihnen manchmal auch kleine Schmankerl für die wenigen Aufgeweckten untergebracht, die – wider Erwarten – tatsächlich zuhören.

Die – nach Meinung des Autors, und daher hier maßgeblich – schönste Perle hat wieder einmal der Heilige Vater zum Feste in seiner Fiedensbotschaft versteckt, die er zu Mariä Empfängnis vollendete und püntklich zu "in circumcisione domini" von Rom aus über die andächtigen Völkerscharen des Erdenrunds ergoss.

Familie, Gesellschaft und Frieden
[…] 5. Wer die Einrichtung der Familie behindert – und sei es auch unbewußt –, macht also den Frieden in der gesamten nationalen und internationalen Gemeinschaft brüchig, denn er schwächt das, was tatsächlich die wichtigste ,,Agentur’’ des Friedens ist. Dies ist ein Punkt, der einer besonderen Überlegung wert ist: Alles, was dazu beiträgt, die auf die Ehe eines Mannes und einer Frau gegründete Familie zu schwächen, was direkt oder indirekt die Bereitschaft der Familie zur verantwortungsbewußten Annahme eines neuen Lebens lähmt, was ihr Recht, die erste Verantwortliche für die Erziehung der Kinder zu sein, hintertreibt, stellt ein objektives Hindernis auf dem Weg des Friedens dar.[…]

Dem ersten Anschein nach ist das nicht mehr als der altbekannte Lobpreis der Ehe, erwartungsgemäß verbunden mit einem kleinen indirekten rhetorischen Seitenhieb mit der fünfstriemigen Geißel. Dessen Ziele sind auch nicht überraschend: Scheidung, uneheliche Partnerschaften, gleichgeschlechtliche Ehe, Abtreibung und alle Verhütungsmittel. Alldies gehört in die Rubrik "Bekannte eigene Standpunkte", es ist traditioneller Bestandteil des Rituals. Das ebenso traditionelle Aufgreifen solch offensichtlich angebotener Themen zur reflexiven Darstellung eines eigenen Standpunktes hat der Autor im Vorjahr bereits erfüllt, und es findet auch anderswo schon zur Genüge statt. So bleibt hier neben dem ersten Anschein noch etwas Raum zur Beobachtung eines entzückenden Eigentores.

Wer nicht nur das Ziel, sondern auch den Weg des päpstlichen Seitenhiebes betrachtet, wird sehen, dass der Schlag auch direkt im Schoß der Heiligen Mutter Kirche landet: "Wer die Einrichtung der Familie behindert … Alles, was dazu beiträgt, die auf die Ehe eines Mannes und einer Frau gegründete Familie zu schwächen, …" Diese bewusst weiten Formulierungen schließen Keuschheitsgelübde und den Zölibat mit ein. Beides richtet sich direkt gegen die Gründung einer Familie. Beider Ziel ist nicht etwa nur die Behinderung oder Schwächung, sondern ausdrücklich die komplette Verhinderung des Heiligen Sakraments der Ehe.

Zugegeben: Die unterstellten ursprünglichen Ziele des sprachlichen Seitenhiebes lassen sich bei Kenntnis des kirchlichen Standpunktes noch relativ leicht aus der Wortwahl ableiten. Die hier vorgenommene zusätzliche Zuordnung wirkt vergleichsweise etwas abenteuerlich, wenn nicht gar willkürlich. Misst man diesen Text des "Papstes der kleinen Zeichen" jedoch an der sprachlichen Strenge und peniblen Genauigkeit seiner bisherigen Schriften (die nicht weniger kompliziert und vielschichtig zu lesen sind als die Sprache der Juristen), sucht man vergeblich nach einschränkenden Hinweisen oder Fußnoten, die hier ein Missverständnis verhindern könnten. Die Formulierungen dürfen und sollen weit interpretierbar sein, sonst wäre ein verdeckter sprachlicher Seitenhieb nicht möglich. Zugleich aber hat sich das Oberhaupt der katholischen Kirche mit der diplomatischen Wahl seiner Worte ganz diskret und vorsichtig von Keuschheit und Ehelosigkeit distanziert. Hätte Il Papa diese beiden katholischen Bräuche von einer solchen Interpretation ausnehmen wollen, hätte er das ausdrücklich vermerkt.

Wäre dieser Umstand rechtzeitig dem verantwortlichen Redakteur einer bekannten Boulevard-Zeitung aufgefallen, hätte möglicherweise diese Schlagzeile deutsche Kioske geziert:

PAPST:  MAKE LOVE NOT WAR
Keuschheit und Zölibat ade:
Heiliger Vater will Familie statt Krieg

Zwar war das nicht der Fall. Und außerdem hat der Oberste Hirte sich ja nicht ganz so offensichtlich geäußert. Immerhin hat der Mann als Vorsitzender der Heiligen Kongregation für die Glaubenlehre (früher unter dem Namen Inquisition bekannt) viele lange Jahre Übung in der hohen Schule diplomatischen Stils gesammelt. Da lernt man, die Botschaften zwischen den Zeilen unterzubringen.

Und ebenso beiläufig, indirekt und diskret, wie Seine Heiligkeit hier unkirchliche Partnerschaften, Scheidung, Abtreibung, Schwule und Lümmeltüten abkanzelte, ebenso steht nun zwischen denselben Zeilen auch zu lesen, daß der amtierende Papst, Benedikt XVI., Keuschheitsgelübde als ein objektives Hindernis auf dem Weg des Friedens betrachtet, und dass der Zölibat den Frieden in der gesamten nationalen und internationalen Gemeinschaft brüchig mache.

Unser Benedetto hat in seiner Neujahrsansprache also nichts geringeres getan, als die katholische Sexualmoral öffentlich der Kriegstreiberei zu bezichtigen.

Das war vielleicht nicht wirklich beabsichtigt. Aber es darf durchaus auch so gelesen werden. Und deshalb darf es dem Herrn Ratzinger Sepp auch getrost unter die Heilige Nase gerieben werden.

Der Autor ist gespannt, ob das noch jemandem aufgefallen ist.

Januar oo8