Portrait
Auf dem Mittelaltermarkt sagt Dreyfuß der Esel die Wahrheit
 
Im Dummsein ein Meister
 
LEVERKUSEN. Dreyfuß kann nur bis drei zählen, aber das ist bisweilen seine Rettung. Fragt man ihn nämlich nach seinem Namen, so hat er ihn meist vergessen. Betreten starrt er dann auf seine Füße -- drei an der Zahl, wovon zwei angewachsen sind und der dritte das Ende seines schellengeschmückten Stocks ziert -- bis es ihm dämmert: "Dreyfuß heiß' ich und bin der hiesige Narr." Als solcher durchstreift er die Mittelaltermärkte -- am Wochenende den auf Schloß Morsbroich -- sieht Dinge und sucht nach Anlässen, um auf sie zu reagieren.
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Teilt den Besuchern mittelalterlicher Märkte auch unliebsame Dinge mit: Dreyfuß.
Er darf das. Er ist ein Narr.
"Kinder und Narren sagen die Wahrheit" weiß schon das Sprichwort, und tatsächlich war es das Privileg der Narren, an mittelalterlichen Höfen ungestraft Kritik an herrschaftlichen Verhältnissen üben zu dürfen. "Dreyfuß weiß nur, er ist ein Esel, der Dümmste auf der Stätten, aber im Dummsein ein Meister", beschreibt Dreyfuß, der auch im bürgerlichen Leben so heißt, dann allerdings mit Vornamen Hajo, den Charakter der von ihm geschaffenen Kunstfigur. Ehe aus dem 37jährigen Berliner "Dreyfuß der Narr, auch der Esel genannt" wurde, verdiente er sich auf wesentlich phantasielosere Art seine Brötchen: "Ich habe dreieinhalb Jahre in der Verwaltung gearbeitet und gelernt, daß ich das nicht will."
Daß er den Schreibtisch mit dem Narrengewand tauschte, passierte jedoch nicht von heute auf morgen. Erst war da der Besuch eines Mittelaltermarktes. Das Gefühl, "das gefällt dir, da ist eine gute Atmosphäre, da willst du mit dabeisen." Dann die Zeit als "Volk" -- womit die Besucher gemeint sind, die sich mittelalterlich gewanden, um nicht als Gäste aufzufallen -- und das sich üben in der mittelalterlichen Sprechweise, dem Pseudo-Luther-Deutsch mit dem eingefügten 'e'   bei den Verben. "Und eines Winters setzte ich mich hin und schneiderte meine ganze Gewandung", schließt der Narr seine Erzählung.
Kappe bis zu den Schultern
Die ist in der Tat sehenswert: Hosen und Wams aus Leder, schwarze Schnabelschuhe mit hochgebogenen Spitzen, eine Kappe, die über die Schultern reicht und rechts und links von einem Paar Eselsohren geziert wird. "Bitte füttern" steht auf einem Schild, das der Narr um den Hals trägt: "Aber Mundraub begehe ich nicht. Womit sollten die Jungfern denn küssen, wenn ich ihnen die Münder raube?" Um derlei Sprüche ist der Narr nie verlegen. Er neckt Männer, "an deren Augenringen Henkel befestigt sind" oder deren "Tonsur aber sehr weit nach hinten verrutscht ist", fragt Jungfern in unziemlichen Beinkleidern, ob denn ihr Roß wohlversorgt sei oder tadelt die "allzu laute Dressur, die Eltern ihren Kindern angedeihen lassen". Ein Narr muß Dinge tun, die andere nicht tun; aber vielleicht gerne täten, faßt Dreyfuß die Quintessenz seines Daseins in Worte.
Kein Zuckerschlecken
Inzwischen ist er zwischen Ostern und Erntedankfest fast jedes Wochenende auf Märkten zwischen Rostock und Saarbrücken, Görlitz und Bodensee unterwegs. "Eine Saison habe ich mir gesetzt, damit mich die Leute kennen, eine, eine, damit sie mich wollen und die dritte wurde ich dann genommen, war Narr und Profi", erinnert er sich. Sein Verdienst reicht, um davon zu leben, und manchmal, wenn es so richtig schön kalt und regnerisch ist, ist dieses Leben kein Zuckerschlecken. "Aber ich hab’s so gewollt, das ist eben der Preis, den ich zahlen muß."

 
Bergische Morgenpost
22.07.96
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Text:  Susanne Schramm
Bild:  Ralph Matzerath