Bagatellen aus dem Alltag
eines
 fast normalen Bürgers
Ein Hirnlüftchen von hajo. Dreyfuß

1 & 1 = 110
 
Tage der Entschleunigung

Unsere Zeit ist schnellebig. Wie schön ist es da, wenn sich noch jemand findet, der uns etwas Zeit verschafft. Noch besser, wenn er dazu noch Anlaß für eine erfüllende Betätigung gibt. Zum Beispiel das Schreiben einer Glosse wie dieser:

Wenn ich einmal groß bin, dann werde ich Provider. Ob für Strom, Telefon, Wasser, Internet, Gas oder Rohrpost, ist mir egal. Hauptsache es hat Leitungen. Und dann helfe ich den Leuten beim Sparen und verschaffe ihnen Zeitgewinn. Ob sie das auch wollen, kann mir egal sein, manche Menschen muß man eben zu ihrem Glück zwingen. Am Ende sind sie denn doch dankbar. Wie das geht, durfte ich ja eben erst selbst genießen. Aber lassen Sie mich das von vorne erzählen.

Nehmen wir an, Herr D. möchte gerne umziehen. Dann hätte er vermutlich den Wunsch, daß alles Schöne und Nützliche aus der alten Wohnung in die neue kommt. Bei der Telefondose in der Wand hält er inne und sinnt.

Bislang durfte er ·T·ISDN von einer bekannten Firma (deren Name hier diskret völlig verschwiegen wird) genießen. Deren Leistung, Geschwindigkeit, Support und Preise hatten ihn ebenso beeindruckt wie die nachgerade sprichwörtliche Kompetenz und – hat da eben jemand "Ach hör doch auf!" gerufen? Na, gut. Bei dieser Firma also hätte Herr D. eine reelle Chance, die ersten beiden zwei Monate vom ·T·Lefon – und somit dem Fluch ständiger Erreichbarkeit befreit zu sein. Er hätte Muße, sich richtig hübsch einzurichten und könnte des Abends in Ruhe schweigsam ein ·T·chen genießen.

Aber Herr D. ist verblendet. Eine andere (natürlich ebenfalls gänzlich ungenannte) bekannte Firma hatte (in einem verzeihlichen Anfall von Eifer) seinem Wunsch nach Raserei entsprochen und schon binnen zweier Wochen eine funktionierende 1&1-DSL-Schaltung mit akzeptabler Leistung zu vergleichbar günstigem Preis bereitgestellt. Berauscht von dieser Geschwindigkeit, erwägt er, künftig noch schneller durch die endlosen Weiten des Weltennetzes streifen zu wollen, zählt bei der Wahl seines künftigen Providers Eins und Eins zusammen und glaubt das Richtige zu tun, als er dort am 28.9.oo7 anruft, um für sein neues Daheim ein "Surf & Phone 16.000 Komplett-Paket" zu bestellen.

Bei Umzug wird der Name Programm

Der neue Provider weiß natürlich, daß Internetsucht und Geschwindigkeitsrausch nichts anderes sind als perfide Erfindungen des Bösen, die allerdings mit subtilen Mitteln exorziert werden können. Und da diese vornehme Aufgabe heutzutage ·T·Rapie heißt und bekanntlich Internet-Service-Providern zukommt, ist er auch sogleich behilflich, Herrn D's Ungestüm zu bremsen.

Einfach in eine andere Stadt ziehen und den bestehenden Vertrag "aufstocken"? Das geht schon einmal gar nicht. Das erfordert schließlich einen neuen Anschluß, und dieser wiederum auch einen neuen Vertrag. Aber den alten Vertrag, den könnte er ja kündigen – wenn er ganz sicher ist, den wirklich nicht mehr zu brauchen.

Eins und eins macht zwei. Dank schlichter (und in gewisser Weise absehbarer) Mathematik hätte Herr D. bis zum Ende der Laufzeit von 24 Monaten dann als einundderselbe Kunde mit einundderselben Firma zwei Verträge für genau eine genutzte Leistung. Ein guter Name verpflichtet nun einmal.

Zwar wird Herr D. – vom neuen Zuhause aus endlich surfen könnend – dereinst mit Erstaunen lesen, daß just dieser Provider inzwischen vollmundig mit seinem "Umzugs-Service" wirbt, bei dem ein Kunde mit einem Vertrag einfach und für kleines Geld seinen neuen DSL-Anschluß am neuen Wohnort erhält, und sogar ohne daß dies einen Einfluß auf die Laufzeit des einen Vertrages hätte. Das wird die Lage für Herrn D. aber nicht ändern, denn schließlich gilt derlei nur für gezielte Anfragen unter einer speziellen Telefonnummer. Und die hatte er ja nicht gewählt.

Indes wird besagter Herr D. alldies erst später erfahren. Im entscheidenden Augenblick glaubt er noch immer an ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis und bleibt fest in seinem Entschluß. Wenn es gilt, diese arme High-Speed-Seele zu retten, bleibt dem neuen Provider nun nichts anderes mehr übrig als verzögertes Ausbremsen. Und so tut er sein bestes.

Schall und Rauch

Also eigentlich müßte man ja erst warten, bis der Anschluß in der künftigen Wohnung frei geworden geworden ist. Und ab dann kämen etwa zwei bis drei Wochen Bearbeitung dazu. Eigentlich.
Aber wenn 1&1-DSL nun einmal partout pünktlich zum 1.11. zur Verfügung stehen soll, dann geht das dennoch – wenn nämlich die bisherigen Mieter nichts gegen eine zusätzliche Telefondose einzuwenden hätten und den Techniker hineinlassen, der das anschließt.
Wie, die machen das wirklich mit? Ja, dann... dann wird nämlich einfach eine zusätzliche Leitung gelegt und angeschlossen. Und wenn hier einfach "schnellstmöglich" vermerkt wird, dann steht der Kram, na sagen wir mal: voraussichtlich, etwa ab 22.10. in der Zweitdose zur Verfügung. Also ganz deutlich vor dem 1.11.
Aber nein, auf die Unerfindlichkeiten von Du-weisst-schon-wem ist man dabei nämlich gar nicht angewiesen. Denn schließlich hat man eigene Techniker und eigene Leitungen. Erstere legen letztere nämlich schnell und pünktlich. Es braucht nur noch eine Telefonnummer vor Ort, damit der gute Mann einen Termin vereinbaren kann.

Zwar hat der freundliche Mitarbeiter im Callcenter hier ein wenig geflunkert. Wie sollte er auch ahnen, daß das Gespräch über die Freisprecheinrichtung von aufmerksamen Zeugen mitverfolgt wird. Der geweihte Provider verfolgt ein edles Ziel, und so nimmt die schrittweise Entwöhnung des Herrn D. ihren Lauf.

Zunächst sind so nebensächliche Kleinigkeiten wie Zusatzleitung und Telefonnummer unversehens im Daten-Nirwana verschwunden. Dann braucht Herr D. auch nicht unbedingt einen genauen Schaltungs-Termin zu erfahren. Und als es langsam eng wird und nur noch fünf ganze Tage Oktober übrig sind – da war plötzlich der Auftrag wohl irgendwie storniert worden. Keine Ahnung, wann, von wem oder wieso. Und natürlich erst recht nicht, weshalb diese Petitesse nicht einmal eine kleine Mail ausgelöst hatte.

1+1 Versuch

Da ein guter Name bekanntlich verpflichtet, gesellt sich noch im selben Telefonat zum ersten Anlauf ein weiterer. Also beginnt die Prozedur des Neuauftrags von vorne. Übrigens auch gleich mit funkelnigelnagelneuer Wartezeit von "etwa drei bis vier Wochen". Hernach malt man einen schönen Brief und teilt Herrn D. darin mit:

„In Ihrem Anschlussbereich ist das Netz voll ausgelastet und alle Anschlussleitungen sind belegt. Ihre Bestellung haben wir daher storniert.“

Damit hat jener für den inzwischen (wortwörtlich) erledigten Auftrag auch die erbetene schriftliche Bestätigung auf Papier, nach der er sich so sehnte. Natürlich bekommt er keine aktuelle, und die Mails bleiben einfach und unsigniert. Das wäre ja noch schöner. Immerhin nutzt man tags drauf just die eben verbrauchte Kundennummer, um Herrn D. in einem kunterbunten Brieflein zu fragen, ob der nicht gerne als "Powerseller" tätig werden möchte. Dann könnte er anderen Leuten beispielsweise das andrehen, was er selbst so gerne hätte, daß er es sogar einem widerstrebenden Provider unter Androhung regelmäßiger Bezahlung abringen möchte.

Herr D. indes ist einer Heilung noch fern. Er begreift nicht die feine Ironie, mit der er behandelt wird. Unbeirrbar ruft er wieder und wieder an. Läßt sich von der teuren Sonderrufnummer nicht schrecken. Durchleidet tapfer die Bremspassage im sprachgesteuerten Menü. Bedrängt in irgendwelchen Callcentern irgendwelche freundliche Mitarbeiter, die ohnehin nichts genaues wissen, nichts entscheiden dürfen und erst recht nicht an eine wirklich kompetente Person verweisen können. Schreibt eMail um eMail. Schließlich geht es nicht mehr anders. Am 26.11.oo7 muß ihm zumindest mal ein Motivations-Häppchen geboten werden, sonst bricht er die heilsame Therapie womöglich wirklich ab. Man gönnt ihm den Ausblick auf die 1&1-DSL-Schaltung. Allerdings erst in sechs Wochen, zum 9.1.oo8 (exakt zwischen 8 und 14 Uhr). Und orakelt auf weiteres Drängen gönnerhaft:

„Sofern die Schaltung der Leitung erfolgt ist, erhalten Sie die bestellte Hardware zugeschickt.“

Wohlgemerkt: Sofern, nicht etwa sobald. Und vorher schon gar nicht.

Ob das nun endlich Wirkung zeigt und Herrn D. aus dem Wahn der Schnellebigkeit befreit, ob das Wissen um die forenbekannte Geduld bei Herausgabe schon belegter 1&1-DSL-Ports Herrn D. zum Ausharren bewegt, oder ob es schlicht am auslaufenden ·T·ISDN in der alten Wohnung liegt, darüber streiten sich die Gelehrten. Der Effekt jedenfalls ist eine sich allmählich in die Zeit ausbreitende Stille auf Seiten des Herrn D. Und weil der so brav ist, kommt der ·T·chniker sogar eine Viertelstunde vor der angegebenen Zeit. Leider ist Herr D. da schon wach, und eine einzige gute Chance auf Verzögerung bleibt damit ungenutzt.

Der Provider meint es aber weiterhin gut mit Herrn D. Er wartet erst einmal in aller Ruhe, bis jener nach dem Verbleib der Hardware fragt.

"Oh, da hat es wohl einen EDV-Fehler gegeben. Ich leite Ihre Meldung mal weiter."

Dann erst legt er sorgfältig Splitter, Router, Zugangsdaten und Schnickschnack in den Postausgang "D wie Dringend" (sprich: "Das hat auch noch bis morgen Zeit").

. . .

Bis das Päckchen dann ankommt, sind seit dem ersten Anruf gut 15 segensreiche Wochen vergangen. Eine stille Zeit. Ein knappes Dritteljahr der guten Chancen auf völlige Ruhe vor alarmierendem Telefon-Gebimmel, drängenden eMail-Anfragen, hektischen Blogs und anderen bösen Dingen, die nur Streß ins Leben bringen. Eine Weihnacht ohne hektisches Online-Shoppen in letzter Minute, und ein Neujahr nur im ganz persönlichen Kreise. Eine heilige Zeit. Dreieinhalb heilbringende Monate, die zu innerer Einkehr genutzt werden konnten, zum Suchen nach der Kraft in der Ruhe, nach Frieden.

Der neue, gnadenbringende Provider kann wahrhaft stolz auf sich sein. Während es inzwischen ganz normal ist, daß eine gewisse tuttelige ·T·Tante ihre trauten Reseller "wie jeden anderen Bittsteller, äh... Kunden auch" gerne mal vier bis acht segensvolle Wochen vornehm auf sich warten läßt, hat er dank innovativer Methoden der Tante maximale Folterzeit auf (na klar: 1 + 1 =) das doppelte ausgedehnt: "Eine Spanne Wartens für die Tante, und eine Spanne für den Onkel..." Ein guter Name verpflichtet eben.

Um nun den erlösenden Erfolg dieser geduldigen missionsreichen Mühen an Herrn D. nicht zu gefährden, wird allerdings auch langfristig in des Kunden Zeit investiert: Was jener wartend überstand, läßt sich ja zum Ausgleich im Downstream einsparen. "DSL 16.000" heißt für Herrn D. in der Praxis nun oft und gerne mal satte 8.515 kBits/sec – also etwa die Hälfte dessen, was die Bezeichnung zunächst vielleicht vermuten ließe.

Alldies geschah und geschieht wohlgemerkt einzig zur erlösenden Errettung und zum gebenedeiten Wohle des notleidenden Kunden, der die Fülle dieser Wohltaten wahrhaftig nicht vergessen wird. Daher soll an dieser Stelle geschwiegen werden von Regen und Traufen. Unerwogen sei die Frage nach dem Wesen von Dienstleistung oder Redlichkeit. Ungenannt bleibe die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera. Vielmehr soll diesem gebenedeiten Provider anhier und jetzt vernehmlich 1&1 Dank (sprich: "Dank um Dank") gesagt sein. Gepriesen sei sein (diskret verhüllter) Name ein ums andere Mal, daß er die Mühen und Plagen des Bösen von Herrn D. so lange fernhielt und ihn hirtengleich noch immer vor den Gefahren gar zu reißender Datenfluten bewahret. Lobpreis und Dank schalle weit hinaus in die Welt ein ums andere Mal. Amen.

Für alle Personen, denen Herrn D. die geschilderten Segnungen (merkantiler Konsequenz, juristischen Feinsinns und ganz eigener Dienstfertigkeit am willigen Kunden) verdankt, hat jener noch abschließend einen ganz persönlichen Segenswunsch bereit: Einjeder möge drei mal täglich an Seinesgleichen geraten.

Nun ließe sich ergänzen, Herr D. möge sich bittesehr nicht beschweren, dieser kleine diskrete Exorzismus am Kunden sei vielleicht nicht ganz artgerecht gewesen. Und es ließe sich hämisch draufsatteln, er hätte eine gewisse ehrwürdige Reichspost-Ministerialamtswitwe (die hier aus diskreten Gründen nicht näher benannt wird) eben besser nicht so schnöde verlassen. Das ·T·Tantchen habe eben auch ihre guten Seiten. (Beispielsweise ihre vielen kleinen schwachen ·T·Punkte, wo ganz reale Menschen in wirklich echten Läden ganz reale Nerven haben – die sie auch gerne schonen, indem sie ganz real nervenden Kunden irgendwann möglichst alles geben, was diesen zusteht. Die Gefahr, daß ein unzufriedener Kunde andere Anwesende von lukrativen Entscheidungen abhält, sei eine der besonders schönen Seiten an ·T·Tantchen's ·T·Service.)

Diesenfalls gäbe es allerdings eine kleine Annekdote anzumerken. Von dem Tage an, als Herr D. endlich "Surf & Phone" genießen durfte, genau von diesem Tage an an streikte auf demselben Grundstück das ganz normale Telefon seiner Nachbarin. Anrufe für diese Dame landeten allerdings nicht im Nirwana, sondern ein paar Straßen weiter bei einem Landwirt, der seinerseits allerdings auch niemanden anrufen konnte. Dank sofortiger Reklamationen durch alle Betroffenen und intensiven Insistierens (sowie Intervention eines Arztes, der über eine Notruftaste erreichbar sein wollte) wurde dieser Zustand schon am sechsten Tage seines Bestehens spontan beendet. – Aber das ist eigentlich eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden kann. Sie biedert sich hier nur so hübsch als Schlußpointe an.

Wie gesagt, wenn ich einmal groß bin, werde ich Provider. Und dann helfe ich den Leuten beim Zeitgewinn. Denn ich mag es, wenn Leute mich dankbar loben.

Januar 2oo8