Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
Ein Hirnlüftchen von hajo. Dreyfuß
   
Das Wetter
 
Im Zeitalter der Globalisierung ist nun auch das Welt-Wetter ehrgeizig geworden. Ein Rekord jagt den nächsten. Aber das nutzt ihm gar nichts. Denn überall, wo "global" dransteht, ist auch immer ein "Made in Germany" dabei. Also stellt sich unsere Regierung heroisch auch dieser Herausforderung.

Ist der Winter auch mild wie nie, irgendwo schneit es dafür umso heftiger. Jede Jahreszeit bietet uns ungewöhnliche Wetter-Phänomenen, wie sie rein statistisch nur alle hundert Jahre mal passieren. "Außerst seltene Ausnahmen" wie besondere Hochwasser, Dürren und Stürme wechseln sich beim Erreichen immer neuer Bestmarken in immer kürzeren Abständen ab. (Jaja.) Von den zwölf wärmsten Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen fanden elf im letzten Dutzend Jahre statt. (Und so weiter.) Der Brausewind "Kyrill" überraschte noch dadurch, daß er ausgerechnet vom Westen her über unsere Fluren fegte. (Und so fort.) Das wissen wir doch schon, das kennen wir doch schon. Stimmt. Es braucht weder mich noch eine meteorologische Ausbildung, um zu erkennen, daß das Wetter verrückt spielt.

Dennoch haben gestandene Wissenschaftler des UN-Klimarates IPCC genau dies bestätigt. Und sie sagen voraus, daß sich selbst unter günstigten Bedingungen unser Planet in den nächsten 50 Jahren etwa um drei Grad erwärmen wird. Zu diesen Bedingungen gehört beispielsweise, daß der CO2-Ausstoß ab heute um kein einziges Gramm anstiege. Nun sind schon zwei Grad genug für eine Kette von globalen Veränderungen, von denen jede einzelne bereits eine Katastrophe bedeutet. Auch das ist hinlänglich bekannt. Ab drei Grad dürfen wir ohne jede Schamröte von einer globalen Katastrophe sprechen. Auch das gehört im Umfeld von Greenpeace und Attac seit Jahrzehnten zum Grundwissen. Dennoch haben diese Fakten – entgegen aller praktischen Erfahrungen – die Ohren führender Politiker erreicht.

Dahero unsere Lieblingskanzlerin das G8-Treffen im heimelig-heimischen Heiligendamm dazu nutzen will, international eine "ambitionierte Position" zu erreichen: In den nächsten Jahrzenten sollen die Temperaturen gefälligst um weniger als zwei Grad steigen.

Wie sich das praktisch erreichen ließe, verrät uns schon die Formulierung. Das magische Rezept, aus hohlen Phrasen und leeren Versprechen vermittels unfähiger Bürokraten auf Kosten Anderer ein widersinniges Machwerk zu zaubern (das zu allem Überfluß auch noch als Erfolg bejubelt wird), hatte ja schon bei der Rechtschreibung funktioniert: Zwar nahm damals der Umfang an Regeln um die Hälfte zu, aber dank der reformierten Numerierung wurde die Zahl der Regeln deutlich verringert. In Anwendung derselben Magie wurde auch jüngst die Reformation der Gesundheit vorgenommen: Die Zahl der neu erfundenen Krankheiten wächst zwar so konstant wie der Beitragssatz, aber immerhin sinken die Leistungen.

Wir dürfen also von der anerkannt kompetentesten aller deutschen Bundeskanzlerinnen durchaus erwarten, daß sie in der trauten Runde erhabener Nationen mit Nachdruck eine handfeste Reform des Wetters einfordert und diese alsdann zügig vorantreibt. Eine solche Reform (natürlich Made in Germany) dürfte den Bürgern teure (aber immerhin ineffektive) Umstellungen abverlangen, derweil den Anstieg von Umweltsünden, CO2 und Temperaturen weiterhin wacker fördern – dafür aber die Zahl der beobachteten Jahre künftig wirksam verringern. Dann klappt's auch mit dem statistischen Mittelwert.

Nun möchte ich mir aber keinen Pessimismus vorwerfen lassen. Also schwenke ich um zur positiven Sicht der Dinge. Die ist nicht nur möglich, sondern auch durchaus realistisch.

Angesichts global wucherndem religiösen Fanatismus, militärischer Muskelspiele großer und kleiner Staaten, nahezu leergefischter Meere und konstant miserablen Verhältnissen in der Dritten und Vierten Welt hat es doch irgendwie etwas Beruhigendes, die bislang beste Kanzlerin unseres Landes zu hören, wenn sie uns ihre Pläne für das bevorstehende Gipfeltreffen der erlauchtesten Insudstrie­nationen dieses Planeten mitteilt. Eingedenk der vielen globalen "Heraus­forderungen, vor denen die Menschheit steht" soll dieses Treffen, so erfahren wir, maßgeblich dadurch geprägt werden, daß unser schönes Land beim Wetter führend ist.

Dieselbe Kanzlerin war es, die vor einem guten Jahr "Ehrfurcht" vor führenden Politikern einforderte. Angesichts solcher Belege geballter Kompetenz bin ich geneigt, mich angemessen tief zu verneigen.

Das Ganze ergibt natürlich nur dann einen Sinn, wenn wir nicht allein die honorige Staatsfrau betrachten, sondern auch den Kalender. Die Fünfte Jahreszeit ist kurz vor ihrem Höhepunkt. Zum Klimax paßt das Klima prima. Also vergessen wir ganz schnell den schalen Kalauer vom Klimakterium. Erfreuen wir uns lieber an unserer Drei-Wetter-Kanzlerin, die da ganz ungeniert in die Bütt gestiegen ist. Denn beim Wetter, da kennt sie sich aus.

Helau.
 

Februar 2007