Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
ein Kommentar von hajo. Dreyfuß
 
gefährliche Töne
 
Bevor sie ihre Reise in die USA antrat, schrieb Angela Merkel in ihrer Funktion als Vorsitzende der CDU/CSU einen Gast-Kommentar, den die Washington Post am 20.2.2003 veröffentlichte.
Die dortigen (uns altgewohnten) Seitenhiebe gegen die Bundes-Regierung verdienen kaum mehr als die beiläufige Frage: "Stärkt solch ein Verhalten im Ausland wirklich das Ansehen von Diplomaten oder deren politische Position im eigenen Land?"
Indes schreibt Angela Merkel dort unter anderem auch dies:
Es stimmt, daß Krieg niemals ein normaler Weg zur Lösung politischer Kontroversen werden darf. Aber die Geschichte Deutschlands und Europas im 20. Jahrhundert lehrt uns vor allem mit Sicherheit eines: daß während militärische Gewalt nicht die normale Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein kann, sie niemals -- wie es von der Deutschen Bundesregierung getan wurde -- als das äußerste Mittel im Umgang mit Diktatoren ausgeschlossen oder auch nur in Frage gestellt werden darf. Wer militärische Aktionen als allerletztes Mittel ablehnt, schwächt den Druck, der auf Diktatoren ausgeübt werden muß und macht einen Krieg letzten Endes nicht unwahrscheinlicher, sondern wahrscheinlicher.
Zur Verdeutlichung seien die obigen Aussagen etwas übersichtlicher wiedergegeben:
Krieg darf niemals ein normaler Weg zur Lösung politischer Kontroversen werden.
Die Geschichte lehrt:
  Militärische Gewalt kann nicht die normale Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein;
  Im Umgang mit Diktatoren ist militärische Gewalt als äußerstes Mittel zulässig;
Das darf niemals ausgeschlossen oder auch nur in Frage gestellt werden.
Auf Diktatoren muß Druck ausgeübt werden.
Wer militärische Aktionen gegen Diktatoren als allerletztes Mittel ablehnt, macht einen Krieg letztlich wahrscheinlicher.
Das läßt sich bequem auf drei Grund-Aussagen zusammenfassen:
Krieg ist als normale Lösung politischer Probleme abzulehnen.
Auf Diktatoren indes muß Druck ausgeübt werden, notfalls mit militärischer Gewalt.
Wer Krieg als äußerstes Mittel gegen Diktatoren auch nur in Frage stellt, gefährdet den Frieden.
Noch kürzer:
Krieg ist gegen Diktatoren zulässig.
Wer das auch nur in Frage stellt, gefährdet den Frieden.
Eigentlich könnte man das einfach so stehen lassen:
So wird die Friedensbewegung zum Kriegstreiber.
Aber da ist noch mehr.
Während Angela Merkel das Kriegshandwerk als übliches Mittel der Politik zunächst ablehnt, ruft sie Erinnerungen an ein Deutschland wach, dessen kriegerische Machtgelüste zwei mal erst mit massiver militärischer Gewalt beendet werden konnten. Ob der Irak den Weltfrieden so stark gefährdet, daß dies eine solche gemeinsame Erwähnung rechtfertigt, sollte hinterfragt werden dürfen.
Das war nur der Auftakt für eine "Botschaft zwischen den Zeilen":
Natürlich meint Angela Merkel ganz offenbar Saddam Hussein, wenn sie so allgemein von "Diktatoren" spricht. Was aber wäre, wenn wir diese kleine sprachliche Unschärfe beim Wort nähmen? Was, wenn nicht nur Saddam Hussein, sondern wirklich Diktatoren im Allgemeinen gemeint wären? Jeder Diktator? Außerdem: Sind Militär-Regierungen nicht im Grunde auch Diktaturen? Leiden nicht auch sozialistische Länder unter dem Diktat ihrer Einheitspartei? Sind religiös geführte Staaten vielleicht auch ein Bißchen diktatorisch? Wo ist der Unterschied zwischen Monarchen und Despoten?
Mit der Verallgemeinerung "Diktatoren" nimmt die Unions-Vorsitzende sprachlich das erste Glied einer rhetorischen Kette auf, dessen letztes den Krieg gegen alle Staaten rechtfertigen kann, die "irgendwie nicht demokratisch genug" sind.
In der heutigen Weltpolitik ebnen Worte die Wege zu Taten. Von einer Diplomatin (die zudem erst unlängst ob ihres rhetorischen Talentes geehrt wurde), können wir erwarten, daß sie weiß, was sie sprachlich tut. Insbesondere, wenn sie für ein ausländisches Blatt schreibt. Die angemerkte Unschärfe kann durchaus beabsichtigt sein. Bleibt nur zu hoffen, daß dieser leise Zwischenton auf Nord-Korea anspielt und hier "nur" zarte Signale für grundsätzliche Bündnisbereitschaft gesetzt werden: "Diktatoren" schlösse Kim Jong Il mit ein. Angesichts der weiteren Möglichkeiten, die sich hier auftun, sind aber auch solche leisen Töne schon gefährlich.
22. Februar 2003
  Links:  
Original-Artikel
(englisch)
  deutsche Übersetzung
des gesamten Artikels